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  • Regula Burkhardt-Lehmann

Das Bijou von Heiden

Das Gasthaus zur Fernsicht im appenzellischen Heiden ist unter Feinschmeckern längst kein Geheimtipp mehr. Im gehobenen Restaurant «Incantare» zelebriert der Küchenchef Tobias Funke eine internationale Spitzenküche, im Restaurant im Erdgeschoss lädt er indes zum «Swiss Alpine Food». Das Kleinod über dem Bodensee besticht architektonisch wie kulinarisch gleichermassen.

Sabine und Fredy Grossauer aus dem appenzellischen Heiden probten nach dem Verkauf ihrer Elektro-Handelsfirma den Ruhestand. Doch der Kreuzfahrten und Wanderungen waren die beiden bald überdrüssig. Als ihnen das historische Fabrikan- tenhaus «Zur Fernsicht» an bester Lage in Heiden zum Kauf angeboten wurde, packte sie erneut der Tatendrang. Der Entschluss, daraus ein Restaurant zu machen, das für jeden Gast offensteht und sowohl Wanderer, Radfahrer, Einheimische als auch Gourmets willkommen heisst, war schnell gefasst. «Etwas Ähnliches existierte bisher in Heiden nicht. Wir wollten diese gastronomische Lücke schliessen», sagt Fredy Grossauer. Er sitzt an einem Spätsommer-Vormittag auf der Veranda seines Restaurants, sichtlich stolz auf die ehemalige Fabrikantenvilla aus dem Jahr 1823, die er mit Sorgfalt renovieren und erweitern liess, und schwärmt, dass man an klaren Tagen freie Sicht auf den Bodensee bis nach Deutschland habe. Hin und wieder unterbricht er unser Gespräch und begrüsst seine Gäste. Dies tut er mit der gleichen herzlichen Art, mit der er auch die Mitarbeitenden behandelt.

Das Gasthaus zur Fernsicht eröffnete im April 2015. Für das Kulinarische zeichnet Tobias Funke verantwortlich, der als Geschäftsführer und Küchenchef arbeitet. Dass er zur «Fernsicht» fand, war Zufall. Er wirtete damals im Restaurant «Funkes Obstgarten» in Freienbach, Schwyz, sah darin aber keine Zukunft und suchte nach einer beruflichen Veränderung. Dies tat er vorerst insgeheim, weshalb er nur seine Familie einweihte. Bald aber sprach sich die Neuigkeit herum – der Grossvater hatte geplaudert – und so kam es, dass gemeinsame Freunde Tobias Funke und Fredy Grossauer einander vorstellten. Bereits beim ersten Besuch auf der Baustelle war Funke von der «Fernsicht» begeistert. Auch Sabine und Fredy Grossauer waren überzeugt, den richtigen Mann für die Aufgabe als Geschäftsführer gefunden zu haben. Ein Jahr vor der Eröffnung trat Funke die Stelle an und konnte dadurch das Gasthaus zur Fernsicht nicht nur kulinarisch, sondern auch in architektonischen Belangen mitgestalten.

Mit Produkten aus der Schweiz

Das Restaurant im Erdgeschoss heisst die Gäste ab 8 Uhr willkommen und ist bei Einheimischen und Auswärtigen gleichermassen beliebt. Der warm gestaltete und lichtdurchflutete Raum ist in den Farben Rot und Anthrazit gehalten und mit eigens für die «Fernsicht» designten Möbeln eingerichtet. Auch die markanten Deckenlampen aus bronze- und goldfarbenen Elementen sind exklusiv für das Lokal gestaltet worden. Im Restaurant finden 30, auf der Terrasse weitere 60 Personen Platz. Vormittags werden Kaffee, Croissants und hausgemachter Kuchen gereicht, mittags und abends bietet das Restaurant eine gutbürgerliche Küche unter dem Motto «Swiss Alpine Food». Das bedeutet, dass die Produkte – wenn immer möglich – aus der Region stammen. «Die Lebensmittel beziehen wir zu rund 99 Prozent aus der näheren Umgebung, nur die Zitrone auf dem Wiener Schnitzel kommt aus dem Ausland, und hin und wieder verwenden wir noch ein paar Tropfen Olivenöl oder etwas Pfeffer», sagt Funke und ergänzt: «unser Ziel ist es, künftig alle Lebensmittel aus der Region zu beziehen.»

Im Gourmetrestaurant «Incantare», das im Obergeschoss des Erweiterungsbaus liegt, zelebriert der Küchenchef eine gehobene, internationale Küche. Er wurde dafür bereits mit einem Guide-Michelin-Stern ausgezeichnet. Hier lässt Funke einen etwas grösseren Spielraum als im Restaurant und verarbeitet auch Lebensmittel aus dem Ausland. «Steinbutt oder eine Mango aus Asien sind durchaus im Gourmet-Menü zu finden», sagt er, «allerdings lasse ich nur Produkte der besten Qualität ins Haus.» Das Gourmet-Menü besteht aus sieben Gängen. Wer möchte, kann sich die Speisen auch à la carte aussuchen und zusammenstellen. In der Einrichtung des «Incantare» hat Funke nichts dem Zufall überlassen und zusammen mit Fredy Grossauer und dem Innenarchitekten einen schönen Ort zum Verweilen und Geniessen geschaffen. Jedes einzelne Möbelstück wurde mit Bedacht ausgewählt. Sogar der Digestif- und der Käse-Wagen sind Einzelanfertigungen. Die Stühle sind in den Farben Aubergine und Rosa gehalten, weisse Textilien kontrastieren die dunklen Eichenmöbel. An Decken und Wänden ziehen edle, in Gold gehaltene Lampen den Blick auf sich.

Im Untergeschoss des Erweiterungsbaus findet sich indes der Weinkeller mit rund tausend unterschiedlichen Positionen. Die Gastgeber setzen vorwiegend auf erschwingliche, trinkreife europäische Weine und führen zusätzlich wenige Jahrgänge teurer Spitzentropfen. Für Liebhaber feiner Zigarren hält ein gediegenes Fumoir im Obergeschoss eine gekonnt zusammengestellte Auswahl bereit, und wer sich einen Drink genehmigen möchte, ist in der Bar im Garten richtig.

Lehrzeit bei Schweizer Produzenten

In der Gastronomie ist es üblich, dass Küchenchefs, die bereits in der Vorbereitungs- und Bauzeit eines Restaurants angestellt sind, Stages in internationalen Spitzenküchen absolvieren. Nicht so Tobias Funke. Er zog es vor, seine Zeit bei den Lieferanten zu verbringen. So lernte er etwa beim Toggenburger Käser Willi Schmid die Geheimnisse der Käserei kennen, besuchte die Kaviar-Produzenten in Frutigen und arbeitete bei einem Walliser Bauern, der Aprikosen anbaut und Eringer-Rinder züchtet. Zudem besuchte er eine Bäckerei und einen Gemüsebauern. «Es ist mir wichtiger, zu verstehen, wie die Produzenten in unserem Land arbeiten, als zu erleben, was in den Spitzenküchen rund um den Globus abgeht», sagt Funke. Er hat sich vorgenommen, vorgefertigte Produkte bis in spätestens einem Jahr aus seinen Küchen zu verbannen. Diese Zeit braucht sein Team, um die Essiggurken selber einzumachen, Konfitüren aus Schweizer Früchten zu kochen oder Chutneys und Ketchup herzustellen.

Wenn Tobias Funke von seiner Arbeit erzählt und davon, wie sein Team im August Hochzeiten bis in die Morgenstunden meisterte oder er um Mitternacht Tischdecken bügelt, weil das «Housekeeping» ausfällt, kommt er bisweilen fast ins Schwärmen. Als Geschäftsführer und Küchenchef im Gasthaus zur Fernsicht hat er seine Berufung gefunden. Seit April 2016 führt er zudem auch das Restaurant «Frohburg» in Heiden. Der frühere Besitzer bot das erfolgreiche Café-Restaurant zum Verkauf an und kün- digte allen Mitarbeitenden. «Eigentlich wollte ich kein weiteres Lokal», sagt Funke, «aber ich fühlte mich für dessen Zukunft und für Heiden verantwortlich und sagte mir: Tobias, du kannst dieses Lokal nicht sterben lassen, wenn du die Möglichkeit hast, es zu retten.» So wurde die «Frohburg» nur drei Wochen nach der Schliessung mit einem leicht angepassten Konzept wiedereröffnet. Das freut auch den Investor: «Die ‹Frohburg› ist eine richtige Dorfbeiz, eine, wie sie die ‹Fernsicht› nie sein wird. Hier essen die Handwerker ihr Znüni oder trinken ihr Feierabendbierchen», sagt Fredy Grossauer, blickt auf und verabschiedet einige Gäste, die das Gasthaus zur Fernsicht fröhlich plaudernd verlassen.

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